Einblick-2

Ruth Schächter, von allen Zajíček (tschechisch für Häschen) genannt, schrieb ihr ins Album: »Vergiss nicht die, die das geschrieben hat und dich treu geliebt hat. Deine...«; dann malte sie eine Hasenmutter mit sieben kleinen Hasen, gefolgt von der Frage, die mit acht Fragezeichen schloss:

»Liebe Flaška: Ob du dich immer daran erinnern wirst, wer neben dir gelegen hat?? Und deine gute Freundin war????????

«Das Poesiealbum von Flaška, wie Anna in Anlehnung an ihren Mädchennamen Flachová von ihren Freundinnen genannt wurde, unterscheidet sich auf den ersten Blick wenig von den Poesiealben, wie sie viele Mädchen früher führten. Auch hier finden sich Aphorismen wie der von Goethe: »Nehme die gute Stimmung wahr, denn sie kommt selten.« Oder Widmungen wie diese: »Viel Glück in deinem weiteren Leben wünscht dir deine Tante Ella aus Wien, 23. Juli 1940.« Erst auf den zweiten Blick ist erkennbar, dass dieses rote Büchlein mit den vergilbten Blättern, das auseinanderzufallen droht, eine völlig andere Geschichte erzählt als die meisten anderen Poesiealben, wie zum Beispiel meines, das seit Jahrzehnten in einer Schachtel liegt und seinen Wert als Erinnerungsstück nur einem Rest von Nostalgie verdankt. Hier, das ist offensichtlich, halten andere Kräfte das Album am Leben.

Es sind die lebendigen Erinnerungen an die ermordeten Mädchen von Zimmer 28. Es ist die Trauer darüber, dass sich deren Hoffnungen und Zukunftsträume nie erfüllen konnten. In Flaškas Vorstellung lebten diese Mädchen weiter – liebenswert, begabt, fantasievoll, ruhig und nachdenklich die einen, sportlich und temperamentvoll die anderen. Was wäre aus ihnen geworden?, fragte sich Flaška immer wieder. Aus Lenka, die wunderbare Gedichte schrieb? Aus Fiška, die gerne Sketche ersann und Theater spielte? Aus Maria Mühlstein mit ihrer schönen Stimme? Aus Helena und Erika mit ihrem Talent zum Malen und Zeichnen? Aus Muška, Olile, Zdenka, Pavla, Hana, Poppinka; und aus Zajíček, ein Mädchen, das sie alle liebten?