Einblick-4

Einblick-4

Einführendes Kapitel in die Neuausgabe des Buches "Die Mädchen von Zimmer 28 " 

©Hannelore Brenner. Edition Room 28. Erscheinungsdatum April 2025. | Motive  der Vorveröffentlichung siehe Statement


Rückblick, 2024 (4)

Treffen in Spindlermühle
Im September 1998 kamen wir zum ersten Mal zusammen, um einige Tage miteinander zu verbringen und vor allem, um gemeinsam zu arbeiten. Anna Hanusová hatte das Treffen organisiert und den Ort gewählt: Špindlerův Mlýn (Spindlermühle). Bei vielen rief dieser beliebte Ferienort im Riesengebirge Kindheitserinnerungen wach. Erinnerungen an Ferien in schöner Natur, an Ausflüge hinauf auf die Berge Medvědín und Plán, Wanderungen über die hügelige Landschaft rund um den einstigen Ortskern Sankt Peter oder entlang dem rauschenden Wildbach, dessen klares Wasser unweit von Spindlermühle der Urspungsquelle der Elbe entspringt.


Unvergesslich bleiben mir die Treffen in Spindlermühle – das erste auf der Hromovka, dann in einem der Hotels direkt im Ort, schließlich in einem großen Hotel am Rande von Sankt Peter. Die Treffen wiederholten sich jedes Jahr im September. Die gemeinsamen Urlaubstage entfalteten eine große Anziehungskraft, der Kreis der Teilnehmenden wurde mit jedem Jahr größer und bald waren die Treffen eine Tradition, die keiner missen wollte. Stets mischte sich in die Freude über das Wiedersehen die Vorfreude auf das Wiedersehen im nächsten Jahr.

Manche, die in ihre Nähe kamen, mochten sich verwundert gefragt haben, welche Bewandtnis es mit diesem Kreis von Freunden auf sich hat. Es lag eine herzliche Vertrautheit und Fröhlichkeit in ihrem Umgang miteinander. Hätte jemand danach gefragt, wäre die Antwort gewesen – ich habe diesen Satz oft gehört: Wir fühlen uns wie Schwestern. Wir sind glücklich, wenn wir zusammen sind.


Und weil sie sich glücklich miteinander fühlten, feierten sie auch gemeinsam, wenn es etwas zu feiern gab – Geburtstage, die in den September fielen, und vor allem: Rosch ha- Dchanah, das jüdische Neujahrsfest. Blumen und Kerzenleuchter schmückten dann die festlich gedeckte Tafel, kleine Ansprachen wurden gehalten, Toasts ausgebracht, Geschenke verteilt. Später am Abend übertönte Gesang immer mehr die angeregte Unterhaltung, bis sie schließlich alle sangen. Sie sangen Lieder, die sie in ihrer Kindheit gesungen haben, als Kinder des Ghettos Theresienstadt – tschechische Volkslieder, Kanons, hebräische und zionistische Lieder, Lieder aus der Kinderoper »Brundibár«. Eine einzigartige Atmosphäre erfüllte in solchen Augenblicken den Raum; eine Mischung aus Fröhlichkeit und Ernsthaftigkeit, aus Liebe und Dankbarkeit. Wir sind dankbar dafür, so hörte ich sie oft sagen, »dass wir eine Familie haben, dass wir Mütter und Großmütter sind, Kinder und Enkelkinder haben; dass sich nach all dem, was wir erfahren haben, viele unserer Wünsche erfüllten. Und vor allem, dass wir mit unseren Angehörigen und Freunden zusammen sein können, in unserer alten tschechischen Heimat.«


Dass viele ihrer einstigen Freundinnen vom Zimmer 28 dieses Glück nicht teilen konnten, war den Frauen in solchen Momenten besonders bewusst. Denn in ihren Herzen und Gedanken und in den Dokumenten, die sie hinterließen, lebten und leben sie weiter.

Die Kinderoper »Brundibár«

We always remember our friends, sagte Ela Weissberger bei einem unserer vielen Gespräche in Spindlermühle. Jedesmal, wenn ich in Amerika vor Publikum spreche, bitte ich die Menschen, einen Augenblick mit mir gemeinsam dieser Kinder zu gedenken. Weil sie niemand kennt – nur wir, ein paar wenige Überlebende haben sie in unseren Gedanken und in unseren Herzen. Und wir haben auch ein Bild vor uns – ihre Gesichter, ihre Augen, ihre Persönlichkeit, wir sehen sie vor uns und all das, was wir mit ihnen erlebt haben. Deshalb wollen wir so ein Buch. Und ich verbinde damit die Hoffnung, dass wir eines Tages zusammenkommen und dieses Buch jüngeren und kommenden Generationen widmen und ihnen damit unsere Wünsche für ein besseres Leben mit auf den Weg geben können. Auch, damit sie sehen, dass wir unser Bestes taten, um ihnen etwas zu geben, was nur wir weitergeben können: unsere Erinnerung. Und die Liebe, die wir mit unserer Erinnerung verbinden, die Liebe, die uns die Erwachsenen – die Betreuer, Lehrer, Künstler und viele andere – in einer schweren Zeit gaben. Ich glaube, dass heute viele Kinder einer solchen Liebe bedürfen, wie wir sie damals erfahren haben.

Ela Weissberger, geb. Stein (1930-2018). Sie spielte die Katze bei den Theresienstädter Aufführungen der Kinderoper "Brundibár". Unermüdlich erzählte sie von ihren Freunden und Erlebnissen in Theresienstadt, insbesondere von den Aufführungen von Brundibár. In der Neuausgabe des Buches ist ein aktualisiertes Kapitel "Brundibár! enthalten. Hier ein Ausschnitt aus dem Radiofeature "Brundibár und die Kinder von Theresienstadt" (1998, 1999). Sie hören die Pianistin Alice Herz-Sommer, Flaška und Ela und die Kinder von Theresienstadt.


Weitere Passagen folgen am 2. Februar 2025

Weiterlesen (5) am 2. Februar 2025
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