Einblick-5

Einblick-5

Einführendes Kapitel in die Neuausgabe des Buches "Die Mädchen von Zimmer 28 " 

©Hannelore Brenner. Edition Room 28. Erscheinungsdatum April 2025. | Motive der Vorveröffentlichung siehe Statement


Rückblick, 2024 (5)

Als Ela Weissberger damals in Amerika von ihren Erlebnissen in Theresienstadt berichtete, kam sie immer wieder auf ihre Freundinnen vom Zimmer 28 zu sprechen. Was hatte es mit ihnen für eine Bewandtnis? Und was mit dem Zimmer 28, das sie immer wieder erwähnte? (...) Beim Abschied sagte sie: Im September fahre ich nach Prag. Dort treffe ich mich mit meinen Freundinnen. Wenn Sie wollen, kommen Sie doch hin. Ein halbes Jahr später war ich in Prag. Und bald darauf bei Flaška in Brünn und bei Helga in Wien.


Das Tagebuch von Helga Pollak
Der Besuch bei Helga Kinsky in Wien im Spätherbst 1996 wurde ein ebenso starkes Erlebnis wie der Besuch bei Flaška in Brünn. Helga holte ihre beiden Tagebücher hervor, dann Schachteln mit Briefen, Postkarten, Fotos, Dokumenten, darunter die Kalender der Jahre 1943 und 1944 mit Aufzeichnungen ihres Vaters Otto Pollak. Sie erzählte, las aus ihrem wunderbaren Tagebuch. Ich sehe das alles heute noch lebhaft vor mir. Die Bilder und Szenen zogen an mir vorüber und verbanden sich in meiner Vorstellung zu einem Film, den ich bis heute als Vision in meinem Herzen trage.

Ganz gewiss: Ohne Helgas Tagebuch wäre daas Buch Die Mädchen von Zimmer 28 nie geschrieben worden. Ihre Aufzeichnungen  machten es möglich, den Alltag der Mädchen im Zimmer 28 des Mädchenheims L 410 im Ghetto  Theresienstadt zu rekonstruieren und die Atmosphäre des kleinen Kosmos Zimmer 28, dieser »Insel im tobenden Meer« einzufangen. Die zum Teil sehr persönlichen Tagebucheintragungen nehmen die Leserinnen und Leser mit in die Welt eines 12-13-jährigen Mädchens aus Wien, für das Schreiben zum unverzichtbare Medium der Reflexion und zum ebenso unverzichtbaren Dialog mit einem guten Freund wurde. Für mich wurde dieses Dokument zum Herz und roten Faden dieses Buches, und die Aufzeichnungen ihres Vaters zu einer gleichermaßen wichtigen Quelle.

Für die 2004 erschienene Erstausgabe des Buches Die Mädchen von Zimmer 28  standen mir nur Teile des von Helga selbst  aus dem Tschechischen übersetzten Tagebuchs zur Verfügung. Zehn Jahre später brachte ich Helgas gesamtes Tagebuch in neuer Übersetzung ergänzt um die Aufzeichnungen ihres Vaters in der Reihe Edition Room 28 unter dem Titel Mein Theresienstädter Tagebuch 1943-1944 heraus.

Da der dritte Band  ihres Tagebuchs 1956 verloren ging und der zweite Band mit dem Eintrag vom 5. April 1944 endet, bezog ich immer mehr die Aufzeichnungen ihres Vaters mit ein, was die Erzählung um die Perspektive eines Erwachsenen und wichtigen Protagonisten erweiterte. So wurde aus der Schilderung der Erlebnisse dieser Mädchen ebenso eine Chronik heausragender Ereignisse im Ghetto.


Anmerkung. Helga, die in Wien aufwuchs, schrieb das Tagebuch auf Tschechisch, da sie nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 bei der tschechischen Familie väterlicherseits in Kyjov lebte und von da an fast nur noch Tschechisch sprach.

Helga Kinsky, geb. Pollak (1930-2020). Ab 2004 nahm Helga unzählige Mal an Lesungen teil, las aus ihrem Tagebuch und erzählte von ihren Erlebnissen in jungen Jahren und danach. Unzählige Menschen aller Altersgruppen lernten sie kennen und schätzen. Sie war eine wunderbare Zeitzeugin. Unzählige Lehrer*innen haben die Geschichte von Helga und den Mädchen von Zimmer 28 aufgegriffen, viele Schüler*innen haben das Buch gelesen.

Aktuell gibt es am 6. Februar 2025 eine Lesung im Jüdischen Museum in Rendsburg. Das Manuskript basiert auf ihrem Tagebuch und der Geschichte der Mädchen von Zimmer 28, für die die Kinderoper Brundibár eine große Rolle spielte.

Für ihr außergewöhnliches Engagment - einige Events sind hier dokumentiert - wurde sie von Deutschland und Österreich ausgezeichnet. In Wien wurde ein Park nach ihre genannt: Helga-Pollak-Kinsky-Park.


Weitere Passagen folgen am 6. Februar 2025

Weiterlesen (6) am 6. Februar 2025
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