Einblick-6

Einblick-6

Einführendes Kapitel in die Neuausgabe des Buches Die Mädchen von Zimmer 28" | © Hannelore Brenner. Edition Room 28. Erscheinungsdatum April 2025. | Motive der Vorveröffentlichung siehe Statement


Rückblick, 2024 (6)

Aspekte der Erinnerung 

Bei all den Abgründen, die sich auftaten, wenn die Frauen zurückblickten auf das, was in ihrer Kindheit geschah – mit der Erinnerung an das Zimmer 28 wurden auch helle Erinnerungen wach. 

Evelina (Eva) Merová, geb. Landa

Wenn ich an die wirklich bösen Jahre des Krieges und des Holocaust denke, taucht in meinem Gedächtnis immer ein heller Schein auf, ein lichter Punkt – unser Kinderheim im Ghetto, unser Zimmer 28. Ich war in Theresienstadt 18 Monate. Im Leben eines Erwachsenen ist es nicht viel. Im Leben eines Kindes ist es fast eine Ewigkeit. In Theresienstadt wurde ich aus meiner Kindheit gerissen. Ich begann erwachsen zu werden. Ich begann nachzudenken. Nach Theresienstadt kam ich als 11-jähriges Mädchen. Als ich im Dezember 1943 die Stadt in einem Transport nach Auschwitz verließ, fühlte ich mich fast erwachsen.

Das Mädchenheim in Theresienstadt hat mir geholfen, viel Schweres zu überstehen. Die Betreuerinnen vermittelten uns einen Begriff von Menschlichkeit, Freundschaft und Solidarität. Das gab mir Kraft. Aber ich hatte auch Glück. Leider hatten die wenigsten dieses Glück. Von etwa fünfzig bis sechzig Mädchen aus unserem Zimmer blieben nur fünfzehn am Leben. 

In der Theresienstädter Hymne hieß es: »Wenn man will, dann gelingt’s, Hand in Hand und fest vereint, auf den Ghettotrümmern werden wir lachen.« Leider erfüllte sich diese Prophezeiung nicht. Niemand vermochte nach dem Krieg zu lachen. Aber an unser Kinderheim im Zimmer 28 erinnern wir uns mit einem Lächeln.


Handa Drori, geb. Pollak
Ich glaube, dass der Grund dafür, dass ich ein toleranter Mensch bin und auch mit Menschen befreundet sein kann, die andere Überzeugungen haben, liegt im Zimmer 28 in Theresienstadt. Wir lebten dort in einem kleinen Zimmer mit etwa 30 Kindern zusammen, und alle kamen aus ganz unterschiedlichen Milieus. Manche waren verwöhnt, manche waren streitsüchtig, manche egoistisch, manche gut und manche weniger gut – wie es eben im Leben ist, jeder hat einen anderen Charakter. Und wir lernten, miteinander auszukommen, einander zuzuhören. Wir lernten miteinander zu leben – weil es keinen anderen Ausweg gab.


Helga Kinsky, geb Pollak 

Die drastische Geschichte ist eher die danach, weil Theresienstadt war ja irgendwie ein Durchgangslager. Man hat uns etwas abgeschirmt im Kinderheim. Wir sahen nicht alles, was wirklich in Theresienstadt los war. Und Kinder kann man in dem Alter sehr leicht ablenken mit  Singen und Spielen und verschiedenen anderen Aktivitäten, was die alten Leute ja nicht konnten.


Anna Hanusová, geb. Flach (Flaška)
Die Betreuerinnen waren für uns wie eine zweite Mutter. Das Zimmer 28 war für uns eine kleine schützende Insel, die uns half, den Verlust der Heimat, für viele auch die Trennung von Vater oder Mutter oder von beiden, leichter zu ertragen.

Judith Rosenzweig, geb. Schwarzbart
Wie haben sie das nur gemacht, dass wir uns vertragen und gegenseitig geholfen haben – etwa 30 Mädchen im schwierigen Alter zwischen 12 und 14 Jahren? Dass wir freiwillig gelernt haben, dass unser Zimmer immer aufgeräumt und sauber war, dass wir unsere Haare wuschen, obwohl es sehr unbequem war. Heute weiß ich, dass Tella, unsere Betreuerin, etwas Enormes geleistet hat. Auch die anderen Betreuerinnen.

Doch "Die Angst war immer da... " Foto und O-Ton Judith Rosenzweig (1930-2019)


Weitere Passagen folgen am 10. Februar 2025

Weiterlesen (7) am 10. Februar 2025
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