Einführendes Kapitel in die Neuausgabe des Buches Die Mädchen von Zimmer 28 | © Hannelore Brenner. Edition Room 28. Erscheinungsdatum April 2025.
Einführendes Kapitel in die Neuausgabe des Buches Die Mädchen von Zimmer 28 | © Hannelore Brenner. Edition Room 28. Erscheinungsdatum April 2025.
Rückblick, 2024 (8)
Der letzte Akkord: Theresienstadt
»Es liegt eine bittere Ironie darin, dass in Theresienstadt die Koexistenz dreier Kulturen zu Ende gegangen ist. Über Jahrzehnte haben Tschechen, Deutsche und Juden auf böhmischem Boden zusammengelebt, haben sich ihre Kulturen gegenseitig beeinfluss tund bereichert. Dann, ausgerechnet in Theresienstadt, diesem Vorzeigeghetto der Nazis, unter extremen und schwierigen Bedingungen, schmolz diese über Jahrhunderte gewachsene, von den Nazis auseinandergerissene Annäherung der Kulturen zu seinem innersten Kern zusammen.«
Die kulturellen Aktivitäten in Theresienstadt sind ein Abglanz jenes fortschrittlichen Geistes, der vor dem Krieg die mitteleuropäische Kultur bestimmte; ein Abgesang auf die untergehende Epoche, ihr letzter Akkord. Er war ein trauriger, verzweifelter Akkord. Und doch lag darin auch Hoffnung und Mut. Hoffnung für die Kinder, die Zeugen des Abgesangs und die Instrumente, auf denen diese letzten Harmonien angeschlagen wurden, auf dass sie niemals ausklingen mögen.
Die Hoffnung war nicht vergebens. Der »letzte Akkord« lebt weiter in den Werken jener, die die einzigartige Kulturszene des Ghettos Theresienstadt ausmachten – in den Werken der Komponisten Viktor Ullmann, Hans Krása, Pavel Haas, Gideon Klein, in den Werken der bildenden Künstler Bedřich Fritta, Leo Haas, Otto Ungar, Peter Kien, Karel Fleischmann, Alfred Kantor. Er lebt weiter in den Gedichten und Liedern von Ilse Weber, in den Kabarettsongs und Texten von Karel Švenk, Leo Strauss, Walter Lindenbaum oder Kurt Gerron. Und er lebt weiter in den Erinnerungen der Überlebenden an Aufführungen, die, gleichsam allegorisch, das Wesen der Theresienstädter Kultur widerspiegeln: Verdis »Requiem« und Hans Krásas Kinderoper »Brundibár«.
Unmöglich konnten jene, die damals Kinder waren, das Ausmaß der schier übermenschlichen Selbstüberwindung, die diesen kulturellen Leistungen zugrunde lag, verstehen. Wohl hätten manche von ihnen es vermocht, den Sinn jener bekannten Worte Viktor Ullmanns zu erfassen: »Zu betonen ist, daß wir keineswegs klagend an Babylons Flüssen saßen, sondern daß unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war.«10 Welche übermenschliche Kraft jedoch dazu gehörte angesichts des Abgrunds, in den die Erwachsenen blickten, war jenseits ihres kindlichen Fassungsvermögens.
Weitere Passagen folgen in ein paar Tagen